Herbert Grönemeyer - Tumult

Herbert Grönemeyer - Tumult     VÖ: 09.11.2018

Das ist keine leichte Zeit. Es ist eine nervöse, eine unruhige Zeit. Viele Gewissheiten schwinden; und vieles von dem, was uns einst sicher und selbstverständlich erschien, wird in Frage gestellt. Wie wollen wir leben? Was können wir tun, damit wieder Hoffnung herrscht und nicht Hass? Wie verteidigen wir unsere Freiheit gegen ihre Verächter? Wie stehen wir zu uns selbst in einer Gegenwart, in der sich so viele verbiegen und ihr Menschsein verleugnen? Wie kommen wir miteinander aus?

„Tumult“ heißt das neue Album von Herbert Grönemeyer, das am 9. November erscheint. Es handelt von all diesen Fragen; es ist ein hoch politisches Werk. Ein Werk, das die Lage beschreibt, in der wir leben; ein Werk, das Wort und Klang für die Stimmung findet, die uns alle ergriffen hat und in Sorge versetzt. Und es ist ein Werk, das uns Mut macht. „Tumult“: Das ist Musik zur Zeit. Tumult: Das ist Herbert Grönemeyers Wort für diese Zeit; für eine Zeit, in der die Herzen erkalten und die Menschlichkeit schwindet; in der das hasserfüllte Geschwätz aus den virtuellen Welten die Köpfe überschwemmt und das Denken erstickt. „Es wird laut gedacht / Alles ist erlaubt / Es lallt und hallt von überall“, singt er in dem Stück „Fall der Fälle“ – „Wir laufen uns hinterher / Denken nicht mehr quer / Wer drückt den Pausenknopf“, heißt es in „Taufrisch“. 

„Tumult“ ist ein Album, auf das viele Menschen gewartet haben; alle jene, die ein Zeichen der Hoffnung in dieser nervösen Zeit brauchen – und ein Zeichen des Widerstands und der Solidarität gegen die, die mit einfachen Antworten und kalten Parolen unser Miteinander vergiften. „Bist Du da, wenn Seelen verwaisen“, fragt Herbert Grönemeyer in dem Stück „Bist Du da“ – „Bist Du da, wenn zuviel Gestern droht / Wenn wir verrohen, weil alte Geister kreisen / Bist Du da“. 

„Tumult“ ist ein politisches Album, weil es zur Gelassenheit rät und zu jener Ruhe, die man zum Denken braucht; aber es ist auch politisch, weil es Standfestigkeit fordert und zeigt. „Keinen Millimeter nach rechts / Verständnis ist nie schlecht“, heißt es in „Fall der Fälle“, „Aber kein Millimeter nach rechts bewegt / Es ist ein Geistesgefecht“. „Tumult“ ist ein Album, das von Entfremdung und Unsicherheit handelt. Aber vor allem handelt es auch von Heimat: von diesem Wort, diesem Wert, der uns gerade so entzweit und bewegt. Herbert Grönemeyers Lieder erzählen von Menschen, die auf der Flucht sind und ihre Heimat verloren haben; und sie erzählen von Menschen, die in Sicherheit leben, aber sich plötzlich fremd fühlen, weil ihre Heimat sich ändert. Heimat ist etwas, wonach alle Menschen sich sehnen; aber wenn Herbert Grönemeyer von Heimat singt, dann singt er nicht davon, dass man sie vor Fremden beschützen muss oder dass man für die Heimat ein Ministerium braucht. Heimat ist für ihn der Ort, an dem wir uns gegenseitig Schutz bieten. Und Heimat gibt es für ihn nur im Plural. Heimat: Das ist der Ort, von dem wir kommen. Aber auch der Ort, an den wir uns sehnen: die Fremde, in die wir gehen müssen, um anders nach Hause zurückzukehren, reifer, bewusster, menschlicher. „In jedem schlägt ein Doppelherz / einmal hier und dann da zuhause“, singt Herbert Grönemeyer in dem Lied „Doppelherz / Iki Gönlüm“; und er singt das auf Deutsch und auf Türkisch; er singt in der Sprache seiner Heimat und in der Sprache derjenigen, die dort, wo er herkommt, ihre eigene Heimat gefunden haben. Und wenn Herbert Grönemeyer auf Türkisch singt, dann singt er so, als ob er nie etwas anderes getan hätte – faszinierend, wie der Rhythmus und der Klang dieser Sprache mit dem Stil seines Gesangs harmonieren; mit diesem Stil, den man doch immer so gern als „typisch deutsch“ wahrgenommen und beschrieben hat. Aber was heißt schon „typisch“? „Doppelherz / Iki Gönlüm“ beginnt wie ein typischer Grönemeyer-Song, aber dann schleichen sich orientalische Harmonien in ihn hinein; und was in seinem Gesang sonst eckig und eruptiv wirkt, wird plötzlich ganz weich und verbindlich.

Und so ist es mit der gesamten Musik auf „Tumult“: Sie bewegt sich geschmeidig zwischen den Kulturen und Stilen; sie zitiert und assoziiert, ohne eklektisch zu wirken oder epigonal oder gar usurpatorisch. In „Taufrisch“ gibt es Steeldrums, Calypso- und Ska-Rhythmen zu hören; unter „Leichtsinn und Liebe“ schwingen die schweren weichen Bässe des Dubstep; „La Bonifica“ und „Verwandt“ sind elegische TripHop-Kompositionen mit zart hineingetupften Pianoklängen und weit ausholenden, sich sehnenden Streichern. „Tumult“ ist musikalisch so reich wie kein anderes Grönemeyer-Album der letzten Jahre; und zugleich ist es – wie immer – hoch individuell und prägnant; allein schon wegen der besonderen Weise, in der Herbert Grönemeyer die Musik, die flirrenden und wechselnden Klänge mit seinem Gesang verbindet und erdet: mit dieser besonderen, jeden Vokal schmeckenden und dehnenden Intonation; mit dieser besonderen Art, die deutsche Sprache gegen ihre Laufrichtung zu bringen, so lange, bis daraus ein eigener lyrischer Zustand erwächst, ein artifizieller und doch hoch authentischer Sound: vertraut und fremd. Tumult: Das ist Herbert Grönemeyers Wort für die politische Lage. Aber es ist auch das Wort, mit dem er den unruhigen Zustand des Menschseins beschreibt; den Tumult der Gefühle, der immer wieder in uns ausbrechen kann, egal, wie sicher wir uns im Leben fühlen und in dem Sein, in dem wir uns eingerichtet zu haben glaubten. Tumult: Das ist ebenso der plötzliche Ansturm von Liebe, der erste, zweite oder auch dritte Frühling, der in uns zu knospen beginnt; manchmal möchte man, wenn es wieder knospt, die Frühlinge auch einfach aufhören zu zählen. So finden sich auf diesem hoch politischen Album auch die schönsten Liebeslieder, die man sich wünschen kann. „Sekundenglück“ handelt von den kleinen Momenten, in denen die Gefühle größer werden und immer größer; ein Lied, das vom Wachsen und Werden handelt und vom Zauber dessen, was man erst erahnt: „An dem Tag, wenn Du kommst / wird es regnen.“ Und „Mein Lebensstrahlen“ erzählt von dem Glück der Sicherheit und des Schutzes, das man allein in der Liebe zu einem Menschen zu finden vermag. Denn die Liebe: Ist sie nicht die wahre Heimat? 

Tumult: Das ist ein privater und ein politischer Zustand, ein Zustand der Angst und der Hoffnung, ein Zustand der Entzweiung und ein Zustand der Liebe. Das Private ist das Politische, und es gibt keine menschliche Politik ohne Liebe: Auch davon handelt dieses sehr reife und dabei doch sehr jung wirkende Werk. All das ist so einfach. Und zugleich so schwer zu verstehen und zu beschreiben; und noch schwerer ist es, darüber zu singen. Vielleicht ist Herbert Grönemeyer der einzige Sänger in deutscher Sprache, der das wirklich vermag. Was für ein Glück, dass es ihn gibt; und was für ein Glück, dass er uns diese Lieder jetzt schenkt, jetzt, in dieser Sekunde: Sekundenglück. „Es gibt kein Süd / Es gibt kein Nord / Es gibt kein West, kein Osten“, singt er ganz am Schluss dieses Albums in dem erhebenden, großen, ergreifenden Lied „Mut“: „Es eint der Wunsch nach Heim und Hort / Nach sichrem Halt und Unterstand“.
Herbert Grönemeyer im Interview

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