Keine Auflösung des Thüringer Landtages: Ist die Vertrauensfrage die Lösung?

Zwei Regierungsfraktionen, die LINKE und die Grünen, ziehen kurz vorher die Reißleine: Sie ziehen ihre Unterschriften auf dem Antrag zur Auflösung des Thüringer Landtages am Freitag zurück. Auch aus Angst nur mit Stimmen der AfD die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit für die Landtagsauflösung zusammen zu bekommen. Eine bisher für den 26. September 2021, zusammen mit der Bundestagswahl, geplante Landtagswahl ist damit vom Tisch.

Eine Möglichkeit, doch noch zu Neuwahlen zu kommen, ist die Vertrauensfrage von Ministerpräsident Bodo Ramelow. Doch dass dieser diese stellt, ist fraglich.

Stabilitätspakt läuft aus

Wie geht es nun mit Thüringen weiter? Laut dem Erfurter Politikwissenschaftler, Professor Doktor André Brodocz von der Universität Erfurt, gibt es die Möglichkeiten: Verlangsamung, weil in mühsamen Verhandlungen immer wieder neue Mehrheiten gesucht werden müssen, oder – was derzeit wahrscheinlicher ist – Stillstand.

Denn: Thüringens Regierungskoalition aus den LINKEN, SPD und Bündnis 90/Die Grünen fehlen vier Stimmen für eine eigene Mehrheit im Thüringer Landtag. Um trotzdem Entscheidungen treffen zu können, wurde mit der CDU im März 2020 ein Stabilitätspakt geschlossen. Dieser läuft diese Woche mit Beginn der Sommerpause aus. Eine Neuauflage dieses Stabilitätspakets scheint von CDU-Seite ausgeschlossen. Entscheidungen über eine Zusammenarbeit könnten also immer nur in Einzelfällen fallen. Eine Bereitschaft dazu wurde von der CDU-Fraktion aber schon einmal signalisiert.

Der Weg im Moment: Mehrheiten suchen

Nach der Sommerpause heißt es dann für die Regierungskoalitionen, für jedes Gesetzesvorhaben individuell auf Stimmenfang gehen, um die nötige Mehrheit im Parlament zu haben, um Gesetze zu verabschieden. Laut Aussagen von CDU und FDP sind beide Fraktionen für Gespräche mit LINKEN, SPD und Grünen offen und gewillt bei punktuellen Vorhaben zusammenzuarbeiten.

Vertrauensfrage als Lösung?

Ein Ausweg aus der derzeitigen Misere könnte sein, dass Ministerpräsident Bodo Ramelow die Vertrauensfrage stellt. Artikel 74 der Landesverfassung macht dies möglich.

Artikel 74 der Thüringer Landesverfassung: Vertrauensfrage

Artikel 74 Über den Antrag des Ministerpräsidenten, ihm das Vertrauen auszusprechen, darf frühestens am dritten Tag nach Schluss der Aussprache und muss spätestens am zehnten Tag, nachdem er eingebracht ist, abgestimmt werden. Der Antrag ist abgelehnt, wenn er nicht die Zustimmung der Mehrheit der Mitglieder des Landtags findet.
In diesem heißt es, dass der Ministerpräsident die Abgeordneten des Landtags auffordern kann, ihm das Vertrauen auszusprechen. Tut dies die Mehrheit der Abgeordneten nicht, hat der Landtag drei Wochen Zeit, einen neuen Ministerpräsidenten zu wählen. Klappt dies nicht, ist der Weg frei für Neuwahlen.

Artikel 50 der Thüringer Landesverfassung: Neuwahl

(2) Die Neuwahl wird vorzeitig durchgeführt, 1. wenn der Landtag seine Auflösung mit der Mehrheit von zwei Dritteln seiner Mitglieder auf Antrag von einem Drittel seiner Mitglieder beschließt, 2. wenn nach einem erfolglosen Vertrauensantrag des Ministerpräsidenten der Landtag nicht innerhalb von drei Wochen nach der Beschlussfassung über den Vertrauensantrag einen neuen Ministerpräsidenten gewählt hat. Über den Antrag nach Nummer 1 darf frühestens am elften und muss spätestens am 30. Tag nach Antragstellung offen abgestimmt werden. Die vorzeitige Neuwahl muss innerhalb 70 Tagen stattfinden. (3) Die Wahlperiode endet mit dem Zusammentritt eines neuen Landtags. Dies muss spätestens am 30. Tag nach der Wahl erfolgen.

Dadurch, dass die Regierungskoalition von Bodo Ramelow aus LINKE, SPD und Grünen keine Mehrheit im Parlament besitzt, ist das Stellen der Vertrauensfrage heikel: Seine Regierungsabgeordneten reichen nicht, um ihm das Vertrauen auszusprechen. CDU und FDP hatten im Februar 2020 signalisiert, dass sie mit ihren Stimmen keinen linken Ministerpräsidenten unterstützen wollen. Bliebe die AfD, die unberechenbar für Bodo Ramelow stimmen könnte – und ein Ministerpräsident, bei dessen Vertrauensfrage die Stimmen der AfD das Zünglein an der Waage wären, will Bodo Ramelow sicher nicht sein.

Bringen Haushaltsverhandlungen Bewegung in Richtung Vertrauensfrage?

Der Herbst könnte jedoch Bewegung in die Thüringer Politik bringen: Das nächste große Gesetzesvorhaben, das die Regierungskoalition zusammen mit möglichen, zeitweisen, Bündnispartnern verabschieden muss, ist der Haushalt für das kommende Jahr 2022. Dieser Haushalt muss von Verfassungswegen verabschiedet werden. Problem an dieser Stelle: „[…] es [dieses Gesetzesvorhaben] berührt ganz viele Felder. Und hier eine Einigung zu treffen ist wahnsinnig schwierig unter den gegebenen Voraussetzungen. […] Ich rechne nicht damit, dass wir in der Haushaltsfrage auf eine große Übereinkunft zusteuern“, meint Prof. Dr. André Brodocz.

Sollte der Haushalt nicht verabschiedet werden, könnte man, laut Brodocz, davon ausgehen, dass die Regierungskoalition nicht das notwendige Vertrauen im Landtag besitze. Ministerpräsident Bodo Ramelow wäre politisch dazu aufgerufen, die Vertrauensfrage zu stellen.

Warum stellt Bodo Ramelow die Vertrauensfrage nicht schon jetzt?

Dass er diese nicht zum jetzigen Zeitpunkt schon stellt, könnte politisches Kalkül sein, erklärt Prof. Dr. Brodocz: „In das politische Kalkül fließt jetzt ein, dass die Regierungsparteien natürlich ihrem Ministerpräsidenten das Vertrauen aussprechen und dass damit die Auflösung des Landtages in der Folge in den Händen der Opposition liegt, das heißt, dann auch mit Zustimmung der AfD.“ Um diese zu vermeiden, hatten LINKE und Grüne ihre Unterschriften auf dem Antrag auf Parlamentsauflösung zurückgezogen. „Man hat den Eindruck, als ob der Ministerpräsident inzwischen sehr darüber nachdenkt, mit welcher Konsequenz er jetzt den Weg der Vertrauensfrage gehen kann, der dann in genau die gleiche Situation führen würde, die wir jetzt hatten“, so Brodocz weiter.

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