Deaf Havana - Rituals

James Veck-Gilodi ist auf Konfusion, sogar auf Aufregung, vorbereitet. Deaf Havanas Frontmann und Songwriter weiß genau, dass einige Fans vom fünften Album seiner Band überrascht sein werden. Denn auf Rituals verwandelt sich der Hardrock des beliebten Britrock-Quintetts in so etwas wie Hardpop. 
Die robusten Riffs, die den UK-Top 5-Vorgänger All These Countless Nights im letzten Jahr ausgemacht haben, sind noch immer vorhanden, aber seit der Veröffentlichung dieser Scheibe haben sich Deaf Havana neu erfunden und sie sind bereit für den nächsten Karriereabschnitt. Mit erst 28 Jahren hat sich Veck-Gilodi zu einem Songwriter und Produzenten mit selten gehörtem Faible für Melodien gewandelt, während er aber gleichzeitig nicht den Kontakt für die Rock’n’roll-Befindlichkeiten und die intensive emotionale Ehrlichkeit verloren hat, die Deaf Havana zu einer der Protagonisten des Alternative Rocks gemacht haben. 
Für Veck-Gilodi ist Rituals eine neue Ausrichtung auf verschiedenen Ebenen. Für das letzte Album benötigte die Band satte fünf Jahre, obwohl sie es komplett live eingespielt hat. Rituals dagegen wurde in weniger als drei Monaten geschrieben und aufgenommen; und es ist im Prinzip ein Alleingang des Frontmanns. 

„Sicherlich ist es eine Platte der gesamten Band”, erklärt er, „aber das Ganze ist eine sehr persönliche Sache, ein Alleingang, der mir einiges von der Seele genommen hat. Ich schreibe normalerweise über dieselben Dinge, also eher persönliche Erfahrungen, aber diesmal wusste ich, dass ich dem Ganzen ein übergreifendes Thema geben wollte. Also habe ich religiöse Themen als Metaphern benutzt – eine Metapher auch für mich. Ich bin nämlich manchmal ein richtiges Arschloch!”, lacht er, bodenständig wie eh und je und sofort jeden möglichen Anflug von Hochnäsigkeit ausschließend. 

Deaf Havana beendeten den Tournee-Zyklus zu ihrem vierten Album im November 2017. Zwölf Jahre nach der Gründung der Band in einer Schule in Norfolk, war es das erfolgreichste Jahr ihrer Historie. Laut Veck-Gilodi gab es reichlich Höhepunkte, aber: „In Deutschland haben wir es richtig geschafft – die Ticketverkäufe haben sich innerhalb dieses Jahres verdoppelt.“ 
Für Veck-Gilodi endete das Jahr also positiv, aber es ging sofort weiter. Also, irgendwie. „Weil das letzte Album fünf Jahre dauerte, hatte ich Angst, mit diesem anzufangen. Es waren diese typischen Selbstzweifel: Wie bekomme ich ein weiteres Album hin? Also habe ich alles Nötige mit auf Tour genommen, um zu schreiben, aber das habe ich natürlich nicht geschafft […].” 
Um ihm aus der Patsche zu helfen, lud Deaf Havanas FOH-Mischer Phil Gornell ihn zu sich nach Hause in sein Studio nach Sheffield ein. „Eigentlich sollten es nur drei Tage werden […], aber am Ende bin ich drei Monate dort geblieben […].” 

Der Rest der Band – sein Bruder Matthew (g), Lee Wilson (b), Tom Ogden (dr), Max Britton (keys) – kam für die Aufnahmen dazu, „aber eigentlich waren es nur Phil und ich in einem dunklen Raum in Sheffield.” 
Deaf Havana haben sich ein Ziel gesetzt: die Aufnahmen Anfang April zu beenden, das Album im August herauszubringen. „Sonst hätten wir das Jahr verloren. Und wir haben es geschafft.“ 

„Ich habe meine Depression überwunden“, gibt ein Musiker zu, der seine Kämpfe mit Beklemmungen schon vorher in diversen Interviews diskutiert hat. „Nicht komplett, aber mir geht es gut. Es hört nie auf, aber ich komme jetzt besser damit zurecht. Ich ernähre mich gesund und treibe Sport… Ehrlich gesagt, das ganze Album ist eine Retrospektive. […].“ 

Dieser positive Enthusiasmus macht auch die erste Single Sinner aus. Hinzu kommt die Teilnahme des ‘London Contemporary Choir’, der auch auf vier anderen Stücken zu hören ist. 

„Ich bin davon überzeugt, dass ich diese poppigeren Momente in meine Musik habe einfließen lassen, weil ich mich befreiter fühle in meinem persönlichen Befinden”, fährt er fort. „Aber im Ernst, ich habe das nicht geplant – sie kamen einfach aus mir heraus […]“, lacht er. „Diese Melodien auf dem PC zu schreiben war ein ziemlicher Zufall.” 

In diesem Sommer werden Deaf Havana einige ihrer neuen Stücke auf einigen der größten Bühnen vorstellen: zum Beispiel auf den Reading/Leeds- Festivals, wo sie ihre einzige Festival-Show in Großbritannien spielen werden, als letzte Band vor dem Headliner Pendulum auf der ‚Radio 1‘-Bühne. 

Konzept, Titel, Komponieren, Aufnahmen, Schnelligkeit, Bilder, Sound, Atmosphäre: Das gesamte Rituals-Paket ist genau das, was sich James Veck-Gilodi für Deaf Havanas fünftes Album gewünscht hat. 
„Ich wollte etwas Drastisches kreieren”, meint er, noch völlig außer sich von dem Ergebnis, „und nicht noch eines dieser gefälligen Mainstream-Rockalben. Ich habe Lust auf den Hass einiger Fans, und ich habe Lust darauf, neue zu gewinnen. Aber wenn die Fans es hören, werden sie hoffentlich nach ihrem Ärger verstehen, dass die Texte genauso persönlich und intensiv sind wie früher. Ich habe sowieso immer Songs mit Popstrukturen geschrieben – ich habe sie bloß immer irgendwie anderweitig versteckt.“ 
„Das ist das erste Album, das ich komplett für mich allein gemacht habe“, endet er. „Das ist die Musik, die ich zum jetzigen Zeitpunkt machen wollte und ich bin keine Kompromisse eingegangen. Das sind die Songs, die ich schreiben wollte und die die Leute hören sollen.“

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